Gerhard van der Grinten

CANTUS

Für Hans Albrecht

Ein Flügelrauschen. Eine ganze Welt (Hans Bethge)

[...]

Dies mag am Oeuvre Hans Albrechts mit das Fesselndste sein: wie sehr die Dinge unter seinen Händen überzeugend werden, umso mehr, je zurückhaltender der Zugriff und die Fügung blieben. Unfragbar schlüssig und in sich stimmig immer wieder überraschend: denn es ist keinesfalls ein Werk, das sich im übermütigen Gefallen verausgabt, ganz im Gegenteil sogar von äußerster Verknappung, Strenge und Konsequenz. Die Verhaltung ist nicht Geste, sie ist notwendig, sie prägt ein Wesen aus, das in aller Vielzahl der Erscheinungen und Disziplinen eine in sich geschlossene Identität zeigt, ohne sich zu wiederholen, ohne zu ermüden. Ja mehr noch scheinen sich die Äußerungen, Zeichnung, Druckgraphik, Collage, Photographie, Plastik bis hin zur Land-Art-Unternehmung gegenseitig immer wieder zu erfrischen und zu erweitern. Es kommt ein Habitus des Machens hinzu, der heute unmodern und ungewöhnlich wirken mag, wo sich allerorten Jungartisten mit eiligen und schnellen Ergebnissen brüsten und zufrieden geben. Der, hohen Anspruchs an sich selbst und an das, was man aus seinen Händen entlässt. Sofern eine lackierte Kiste überhaupt makellos sein kann, hier ist sie's, weil das ihrem Wesen zusteht. Und was gesetzt ist, ist, wie es notwendig sein müsste, und in all seiner Eigenart stets einleuchtend und überzeugend. Kunst, die sich so entschieden im ungegenständlichen Raum bewegt, könnte kaum je mehr für sich verlangen. [...]

Werkverzeichnis 8 / 94

Holz, Acrylfarbe

45 x 45 x 45 cm

Jenseits der stofflichen Ebene, denn die ist alles andere als sensationell, war anfangs häufig das Vorgefundene: Nadelholzstämme, Steine, Tannenzapfen, Angeschwemmtes auch, Treibholz, dann Nesselstoff, Tuchbahn für Segel, Schnur und Seil, um zu verbinden: als eine Aeolsharfe zwischen Bäumen. Später Glatteres, vorgefertigte Materialien: Tischlerplatten, Kanthölzer, Rundstäbe bis zur Mächtigkeit einer Telegraphenstange. Der Verlust der Individualität dieser Elemente gibt dem fertigen Ganzen jedoch um so mehr Verbindlichkeit und Geltung: gesägt, gefügt, verbunden. Das ohne eigentlichen bildhauerischen Zugriff, einfarbig gefasst hernach, häufig schwarz, seltener in tiefsonorem Braun. Und damit ein Stück geworden, ein Stoff, ein Teil. Diese äußere Form, die das Stück beherrscht, zur Stele macht, zur Säule oder aber zum Schrein und Futteral für Dinge, findet Auflösung in Kammern, die sie entbirgt, oft mehrere, gleichartige, weist ein Innenleben auf, das halb eröffnet wird und dessen Füllung doch halb im Verschwiegenen bleibt: Gefäße, Ziegel, die in ihren Luftöffnungen die große Form selbst wieder aufnehmen, Tonkegel als metaphysische Geräte; vielleicht werden sie durch jene Innenwerke dazu, und manchmal durch die Leere, wie jener Dreiecksgiebel, der sich, mit einer fensterartigen Aussparung, umgekehrt aus einem Pfeiler erhebt.

Oder jenes Objekt, das ein Messingrohr umgibt, wie eine Röhrenglocke, ein unangeschlagener Klangkörper und der Ton, den er nicht sendet, ist doch spürbar und präsent. Die Symmetrien sind streng, die Raumfolgen zählbar, doch Zahlensymbolik fällt hier nicht ins Gewicht. Es wohnt vielmehr dem Ganzen ein Zug von Harmonie inne, in dem Sinn, dass Geometrie, Skalen, Folgen, Gitter sich gemeinsam nach den Maßgaben musikalischer Kompositorik zu verhalten scheinen, in den Kategorien von Dauer, Ablauf, Metrum, Takt. Wirkt in hohem Maße agogisch ausgewogen, rhythmisch, parallelgeführt in Stimmen, kontrapunktisch in den Ereignissen, Melodiebögen folgend, eingehalten auf Fermaten. Kleine Formen korrespondieren den Großen häufig, schon in den frühen Arbeiten. Dort mochten es die Markierungen mit Seilen sein, der Verbund verschieden langer und mächtiger Hölzer, der Aufsatz einer Stirnfigur.

Werkverzeichnis 64 / 95

Werkverzeichnis 64 / 95

"Platz im Goldenen Schnitt"

Holz, Messing, Acrylfarbe

12,6 x 60 x 60 cm

Nun sind auch die Exzenter geometrisch exakt, im gleichen Ton, kragen förmlich aus der Masse, dem Block: Winkel, Klötzchen, Zapfen, Grate, durchgehende und unterbrochene Kanellierungen. Fast, als handele es sich um verschlüsselte Nachrichten, lesbar, wenn auch nicht eigentlich zu entziffern.Einige scheinen beinahe wie Architekturmodelle von versammelter Bebauung, von Wegleiten, manche ducken sich in einer Fuge zwischen zwei aufragenden schwarzen Wänden und sind nur aus einem ganz bestimmten Blickwinkel entborgen. Versteckt wie eine Innenwelt. Deckaufbauten andere auf einem Schiffsrumpf. Andere führen Kanäle und durchgängige Passagen. Der Raum, der sie umgibt, jener der Bodenplastiken zumal, wird dabei selber Landschaft. Solche aus mehreren Teilen schließen in ihrer Mitte Gemarkungen ein, Innenhöfe. Ensembles wirken in der Tat wie eine Folge von Baukörpern, zwischen denen sich wandeln lässt, anstatt, dass sie vereinzelte Elemente einer ausgelegten Plastik wären. Und wie sie sich den Raum untertan machen, eignen sich diejenigen an den Wänden die Flächen an. Queren hochaufragend und weiten die Dimension der Wand nach oben, zu den Seiten. Angelpunkt, wo sie die Richtung wechseln. Und dann ist eine gestufte Platte, die sich im goldenen Schnitt von der unterliegenden erhebt und zu beiden Seiten eine Symmetrie von Messingstiften trägt, auf der untren Ebene querend dazu einen Kanal sich öffnen läßt, ein Feld von unerhörter Weite.

Selten nur tritt Farbe auf. Dann ist es ein Gegenton: leuchtendes Orange bevorzugt, neuerdings auch Grün. Beide besonders intensiv kontrastierend zu dem tiefen Schwarz und seinem Widerglanz. Oder der Naturton des Holzes, die irdene Bräune der Ziegel, das Metallische. Eigentümlicherweise wirkt diese farbige Zutat nicht anekdotisch, sie unterstreicht den Eindruck der Strenge nur. [...] 

Auszüge des o.g. Aufsatzes aus:

Katalog Hans Albrecht. Plastik und Grafik. Werkauswahl 1994 - 1999

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