Texte

Thomas Hirsch

Erinnerungen an die Vorzeit

Zeit und Raum im Werk von Hans Albrecht
 
Überblickt man das Werk von Hans Albrecht in seiner Gesamtheit, so erweisen sich strenge, geometrische Formulierungen sowie der Bezug zum Landschaftsraum als zentrale Ausdrucksformen. Landschaft versteht sich hier als aufgespürte und mit Sorgfalt gewählte Umgebung; zugleich entnimmt Albrecht ihr das Material Holz, welches in eine zeichenhafte Sprache überführt wird. Der Künstler realisiert seine Arbeiten im Außen- sowie im Innenraum. Der Betrachter sieht sich dadurch wechselnden Situationen der Wahrnehmung gegenüber, ist auf verschiedene Weise Teilhaber am Kunstwerk.

Den Ausgangspunkt in Albrechts Werk bilden, zu Beginn der siebziger Jahre, graphische Arbeiten. Dargestellt sind akribisch gezeichnete, zwischen Konkretion und Abstraktion hin- und herspringende Formationen, die von realen Gegenständen ausgehen. Hans Albrecht suggeriert Räumlichkeit: Materialität und Stofflichkeit deuten sich an, ohne dreidimensional realisiert zu sein. Aus großen monochromen Flächen erwachsen an wenigen Stellen organisch-technoide Mischformen; das einzelne Detail erhält innerhalb der umfassenden, minimal strukturierten Raumgestaltung fundamentale Bedeutung.

Werkverzeichnis 13/76, Blei- und Farbstift auf Papier 65 x 50 cm

Ende der siebziger Jahre überträgt Albrecht diese zeichnerisch behandelten Raum-Gegenstandsbeziehungen auf Objekte. Herausgearbeitet werden zugleich, im Verhältnis von Detail und Gesamtheit, Form- und Materialkontraste. Auch weiterhin wird die einzelne, in der Regel primäre Struktur relevant bleiben: An hoch aufgerichteten Stelen finden sich einige wenige, oft rechtwinklig abzweigende Lineaturen; und bei den aktuellen Arbeiten, den Innenraumplastiken der letzten Jahre, setzt Albrecht stereometrische Einzelformen integriert oder additiv an große, klare Flächen.

Von 1978/79 an entstehen Aktionen, Plastiken und Installationen im Landschaftsraum. Dieser wird zum bewusst erlebten Ort, der über die deskriptive Ebene der Formen, Farben und Raumverläufe hinaus subjektive Empfindungen auslöst. Die Eingriffe, die Hans Albrecht vornimmt, finden in diesem Spannungsfeld von nüchterner Faktizität und sensuitiv-sublimem Wahrnehmen statt. Oft sind sie so platziert, dass sie eher zufällig von Spaziergängern entdeckt werden. Manchmal türmen sie sich vor diesen auf, dann wieder sind sie unauffällig in die natürliche Umgebung integriert. Albrecht nimmt vorgefundene Naturformen und situative Vorgaben zum Ausgangspunkt seiner Arbeiten. [...]

Werkverzeichnis 6/82

Seit einigen Jahren sind die landschaftsbezogenen Arbeiten in den Hintergrund getreten, ohne aber an Relevanz zu verlieren. Das Material und die Formensprache bleiben im Innenraum weitgehend erhalten. Die raue Oberfläche, die Hans Albrecht bei den Werken im Freien bevorzugt, weicht nun einer homogenen schwarzen Schicht, die an industrielle Fertigungsprozesse denken lässt.

Die Perspektive des Betrachters spielt hier ebenso eine Rolle wie die Dimensionen und die Gliederung der einzelnen Arbeiten. Zugleich werden formale Korrespondenzen offensichtlich, welche die Arbeiten installationsartig aufeinander beziehen. Viele dieser Plastiken beschränken sich auf wenige Elemente, die vermittels des schwarzen Farbauftrags und über das Verhältnis von Positiv- zu Negativwerten konturiert werden.

Etliche der Gestellplastiken besitzen eine geringe Tiefe; in ihrer geometrischen und additiven Linearität kennzeichnet sie ( vergleichbar der Wirkung von Gegenlicht) ein silhouettenhaft-flächiger Eindruck. Zugleich fördern die Strenge und Statuarität den Charakter der Introvertiertheit. Antagonistische Prinzipien treffen aufeinander: Vertikal - schräg - horizontal; rund - kantig; ruhende und stabilisierende Verstrebungen - hängende, scheinbar fallende Elemente.

Neben den Gestellplastiken und den Wandstücken stellen die Bodenarbeiten einen wesentlichen Aspekt in Albrechts Werk dar. Hier liegen raumgreifende Formationen vor, die sich aus überwiegend rechtwinkligen Verläufen konstituieren und dabei den Boden flächig besetzen. Möglichkeiten der Variationen ergeben sich durch das Versetzen oder Hinzufügen von Primärstrukturen. In ihrer räumlichen Ausdehnung erschließen sich die Arbeiten nur allmählich. Offensichtlich sind die architekturalen Anklänge, die der Realität entnommen scheinen und gelegentlich narrative Bezüge vermitteln; diese werden jedoch durch die Gesamterscheinung relativiert.

Bodenplastiken 1993 Holz, Acrylfarbe, Länge je 300 cm

Im Nebeneinander im Ausstellungsraum lassen sich die Bodenplastiken durchaus als Sinnbilder einzelner, nicht näher spezifizierter Lebensabschnitte verstehen. Neben der (diachronen) Abfolge von Zeit vermitteln die Arbeiten auch ein synchrones Erleben von Zeit: Die objektive Zeit wird in eine subjektive Ebene transponiert. Die lineare Gleichzeitigkeit der Plastiken lässt den Raum als solchen - die Tiefe der Arbeiten, die analog und im selben Moment wahrzunehmen ist - bewusst werden. Hans Albrecht bezeichnet neuere Plastiken als "Partituren" und verweist damit auf die Nähe der streng linearen Bodenplastiken zur konventionellen musikalischen Notation.

Im Vordergrund steht also ein Zeitbegriff, der sich an der Simultaneität verschiedener linearer Systeme orientiert. Bereits einzelne Plastiken im Außenbereich liefern Hinweise auf die Musik: Holzstücke, die sequenzartig an Bäumen befestigt sind und an Glockenspiele erinnern, die sich im Wind bewegen, oder fünf Schnüre, die, übereinander angeordnet, musikalische Systeme suggerieren. Der Klang, der hier visualisiert auftritt, bleibt gewissermaßen erhalten.

Neuerdings entstehen kastenartige Arbeiten, die zumeist als Bodenplastiken realisiert sind und von Hans Albrecht "Zeitspeicher" genannt werden. Nur bedingt ist hier ein Einblick in den Innenraum möglich; angedeutet werden Strukturen, die im Kasten gleichsam vor der Vergänglichkeit bewahrt werden, dort vielleicht inhaltliche Komponenten besitzen. Verstärkt wird hier der Eindruck des Geheimnisvollen, den ja bereits die schwarze Farbschicht evoziert. Auch in diesen Arbeiten löst sich Albrecht von der Farbigkeit und Struktur des Holzes, trotzdem gibt der Künstler diesem Werkstoff weiterhin den Vorzug gegenüber anderen Materialien. [...]
 

Auszug des o.g. Aufsatzes aus: Hans Albrecht, Plastik und Graphik, Werkauswahl 1982 - 1993

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